Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen !

Die Guten ins Töpfchen,
die Schlechten ins Kröpfchen !
Seit ein paar Tagen werden Eltern und Erziehungsberechtigte unserer Schulkinder darauf aufmerksam gemacht, dass die Universität Luxemburg im Auftrag des Ministère de l’Education nationale et de la Formation Professionnelle im Zyklus 3.1 auf der 7e und auf den 9e respektiv 5e standardisierte Prüfungen und Fragebogen verteilt. Ihnen wird gleichzeitig mitgeteilt, dass die Ergebnisse auf Schülerebene und Klassenebene den Lehrern zur Verfügung gestellt werden, sowie die Aussagen auf Schulebene den Schulleitungen, dem Inspektorat und der „Agence pour le Développement de la Qualité Scolaire“ mitgeteilt werden.
Für interessierte Eltern wird also ganz klar, dass sie die Resultate dieser Tests bei den Lehrern respektiv bei der „Schulleitung“ einsehen können. Es gibt sicherlich eine Reihe von Eltern die interessiert sind zu wissen wie ihr Kind im nationalen Durchschnitt bei solchen Tests abschneidet. Auch das Resultat der Klasse oder der Schule wird sie wahrscheinlich interessieren und wieso sollten die Lehrer ihnen diese Resultate nicht mitteilen, schließlich müssen ihre Kinder an den Tests teilnehmen. Jedenfalls wird in dem Schreiben nicht darauf hingewiesen wie man eine Teilnahme verweigern könnte.
Wie man vollendete Tatsachen schafft
Nun ist es allerdings so, dass über diese Resultate sehr schnell ein Ranking der Schulen erstellt werden kann. Die „Agence pour le Développement de la Qualité Scolaire“ vergleicht die einzelnen Resultate schon mit einem nationalen Durchschnitt. Kennt man nun die Resultate mehrerer Klassen oder Schulen ist schnell eine Rangliste angefertigt. Frau Delvaux beteuerte stets, dass sie kein Ranking wolle und als den einzelnen Schulen die Resultate präsentiert wurden, versicherte man ihnen, dass es ihnen freigestellt sei diese Resultate zu veröffentlichen oder auch nicht. Nun würde ein Geheimhalten der Resultate allerdings unweigerlich zu einem Misstrauen zwischen Schule und Eltern führen und deshalb wird wohl keine Schule es sich leisten können ihre Resultate geheim zu halten, ohne dass man ihr vorwerfen wird sie habe etwas zu verstecken. Also werden wir ein Ranking bekommen, obwohl ja eigentlich niemand dieses wollte.
Nun wurden die Inhalte dieser Tests nie öffentlich diskutiert und die Resultate die publiziert werden sind abstrakte Zahlen die lediglich unterschiedliche Punktezahlen in einer Skala angeben. Wenn man allerdings die Tests des Zyklus 3.1 vom Jahr 2011 kennt, dann muss man sich doch einige Fragen darüber stellen was hier eigentlich getestet werden soll. Beim deutschen Leseverstehen sollen die Schüler des 3. Zyklus also nach 2 Jahren Deutschunterricht in denen die Alphabetisierung also das Lesen- und Schreibenlernen stattfindet verschiedene Fragen zu Texten beantworten deren Wortschatz keineswegs in der Schule erschlossen werden konnte. Es kann hier also keineswegs darum gehen die schulischen Lernerfolge zu messen. Es scheint eher so, dass der Test darauf ausgelegt ist die weit möglichste Streuung der unterschiedlichen Fähigkeiten zu erfassen und darzustellen. Da ist natürlich ganz klar, dass man zu einem sehr großen Teil das bewertet was ein Schüler auch außerhalb der Schule gelernt hat. Ein Schüler, der regelmäßig zu Hause deutsches Fernsehen sieht oder deutschen Geschichten zuhört, hat natürlich einen reicheren Wortschatz in dieser Sprache als ein Schüler, der das Gleiche in französischer oder portugiesischer Sprache tut. Dabei sollte man zusätzlich beachten, dass auch der Erfahrungshorizont der Schüler durch äußerst anspruchsvolle Texte mitbewertet wird. Es ist also überhaupt nicht erstaunlich, dass das linguistische und sozioökonomische Umfeld der Schüler die Resultate bei diesen Tests extrem stark beeinflusst. Aus diesem Grund bekommt man natürlich eine sehr schöne Streuung, welche die Unterschiede zwischen den Schülern, den Klassen oder den Schulen sehr anschaulich dokumentiert.
Die unterschiedlichen Leistungsprofile werden maximal ausgereizt
Nun haben die bisherigen Prüfungen in der Grundschule ja auch schon immer gezeigt, dass die Leistungen der Schüler unterschiedlich sind und dass dies sehr häufig auch mit dem unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergrund der Schüler zusammenhängt. Allerdings hatten diese Prüfungen zum größten Teil einen direkten Zusammenhang mit dem was gemeinsam in der Schule gelernt wurde. Entsprechend fielen die Unterschiede generell viel geringer aus. Ging es doch hier viel eher darum zu überprüfen, ob der behandelte Stoff auch gelernt wurde und inwieweit der Schüler fähig war mit dem Gelernten weiterzudenken, um sein Wissen und Können auch in neuen Aufgaben anzuwenden.
Dadurch, dass die standardisierten Tests nicht auf einem gemeinsam erworbenen Grundwortschatz basieren und auch sonst viel weiter von den schulischen Lernprozessen entfernt sind, testen sie nicht nur die schulischen Lernerfolge, sondern das gesamte Erfahrungsspektrum der Kinder, also auch das was durch die Eltern, die Freunde und Bekannten vermittelt wurde. Die Leistungsunterschiede werden dadurch natürlich viel bedeutender.
Nun werden gerade diese Resultate dazu benutzt Vergleiche anzustellen: Vergleiche zwischen den einzelnen Schülern, Vergleiche zwischen den Klassen und Vergleiche zwischen den Schulen. Dass damit nicht die Arbeit der Schulen bewertet wird ist offensichtlich. Man erstellt lediglich eine Hitparade der Schulen, in denen sich die besten Schüler befinden. Je nach sozialem Einzugsgebiet liegen die Resultate verschiedener Schulen zwangsläufig über respektiv unter dem nationalen Durchschnitt.
Nun wissen die Wissenschaftler der Universität dies natürlich auch und da sie außerdem versuchen die Arbeit der einzelnen Schulen zu messen wird ein Sozialindex erstellt, der die Bruttoresultate relativieren soll. Deshalb werden die Schüler zu ihrer Familiensituation befragt, welche Sprache zu Hause gesprochen wird, wie viele Fernseher, Autos und Badezimmer es zu Hause gibt und so manches mehr. Auf Grund dieser Fragebogen wird ein Erwartungsresultat für jede einzelne Schule erstellt.
Worauf will man hinaus?
Nun darf man sich berechtigter Weise die Frage stellen wieso man zuerst die maximalen Leistungsunterschiede ausreizt, um sie später dann wieder zu relativieren. Geht es hier nicht schlicht und einfach darum aufzuzeigen, wie unterschiedlich die Resultate der einzelnen Schüler oder der einzelnen Schulen sein können. Soll hier nicht verschiedenen Eltern klargemacht werden, dass das Leistungsprofil ihres Kindes überhaupt nicht zum Leistungsprofil seiner Schule passt und dass es dort entweder überfordert oder aber unterfordert wird?
Nun kennen wir heute schon, trotz der Bestimmung, dass die Schüler in der Grundschule in die Schule ihres Wohnsitzes eingeschrieben werden, etliche Ausnahmen zu diesem Prinzip. Diese Ausnahmen werden normalerweise aufgrund von Betreuungsmöglichkeiten gestattet: wenn man also sein Kind nicht in der Schule seines Wohnviertels anmelden will, braucht man eine Betreuungsmöglichkeit (Großeltern, Bekannte, Kindertagesstätte, ...) in einem anderen Wohnviertel. Einige Eltern nutzen diese Möglichkeiten sehr gezielt, um ihr Kind in einer Schule einzuschreiben, die in ihren Augen ein besseres Niveau hat, weil dort mehr Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Bevölkerungsschichten zur Schule gehen.
Sie tun dies in der Annahme, dass ihr Kind dort stärker gefördert werde. Solche Überlegungen gehen einerseits davon aus, dass die Schüler nicht nur vom Lehrer sondern auch von ihren Mitschülern lernen und andererseits dass der Lehrer in einer Klasse mit vielen leistungsstarken Schülern mehr verlangt als in einer Klasse mit leistungsschwachen Schülern. Nun sind diese Überlegungen ja zumindest teilweise auch nicht von der Hand zu weisen, obwohl andere wichtige Lernerfahrungen in solchen Klassen natürlich ausbleiben und es aus all diesen Gründen wichtig wäre in allen Schulen ein möglichst großes soziales Mix zu erhalten. Durch die individuellen Entscheidungen einzelner Eltern eine, in ihren Augen geeignete Schule für ihr Kind zu finden, entsteht allerdings genau das Gegenteil.
Nun kann man sich unschwer vorstellen, dass durch diese Schüler- und Schulrankings solche Überlegungen immer gewichtiger werden. Wir riskieren also die Tendenz zur schulischen Segregation zu verstärken. In einem Land, das sich durch eine starke Einwanderung auszeichnet und in dem die sozialen Unterschiede in letzter Zeit immer stärker zum Vorschein kommen, riskieren wir immer mehr uns in einzelne Bevölkerungsgruppen aufzuteilen, die sich kaum noch begegnen. Kann so etwas beabsichtigt sein? Nun kann natürlich kein seriöser Politiker und schon gar keine sozialistische Ministerin diese Frage mit ja beantworten. Hier wird also etwas gemacht was die Politik nicht beabsichtigt! Wieso geschieht es dann trotzdem?
Wozu brauchen Schulen eine bestimmte Identität?
Die Diskussion über die öffentlichen „Charter Schools“ und die privaten „Choice Schools“ in den Vereinigten Staaten kann dazu interessante Hintergrundinformationen bieten, geht es doch im Endeffekt darum Schulen mit abweichendem Schulprofil und Unterrichtsangeboten zu fördern. Also weg vom gemeinsamen Lernen hin zu Schulen mit einer bestimmten Identität.
Auch in Luxemburg motiviert die „Agence pour le Développement de la Qualité Scolaire“ die Schulen sich via PRS (plan de réussite scolaire) eine eigene Identität zu geben, um auf die Herausforderungen des „Rapport Ecole“ zu antworten. Nun ist es aber eben dieser „Rapport Ecole“ der die Resultate der Schulen in den standardisierten Prüfungen übernimmt. Sollen Schulen sich demnach entsprechend dem Leistungsprofil ihrer Schüler ein spezielles Unterrichtsangebot zulegen? Dann müsste man den Eltern der Schüler, die nicht in dieses Leistungsprofil passen ja dringend anraten eine andere Schule für ihr Kind zu suchen.
Noch sind wir nicht dort angelangt, aber die Weichen werden jetzt gestellt. Neben einer immer großzügigeren Subventionierung der Privatschulen (siehe den „Rapport spécial portant sur les relations entre l’Etat et l’enseignement privé“ der von der Cour des comptes erstellt wurde), werden auch die öffentlichen Schulen dazu angeregt sich ein spezifisches Schulprofil zu erstellen. Durch Rankings werden sie miteinander verglichen und in Konkurrenz gebracht. Irgendwann wird man uns erklären, dass die öffentliche Schule nur überleben kann, wenn sie es den Eltern erlaubt sich die Schule auszusuchen, ansonsten würde eine große Anzahl von Eltern dem öffentlichen Schulsystem den Rücken zukehren.
Wem das Ganze nutzen wird, ist ja wohl klar. Dem, der die Möglichkeit hat seine Kinder morgens in die Schule seiner Wahl zu bringen, der genau weiß welches Schulprofil er für seine Kinder wünscht und dem es obendrein noch gelingt, dass seine Kinder in der gewählten Schule auch angenommen werden. Denn früher oder später wird es dann auch öffentliche Schulen geben, welche sich die Schüler auswählen dürfen.
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