Antwort an Frau Liliane Bredemus-Pütz über die Schulreform und die Haltung der Gewerkschaften

Antwort an Frau Liliane Bredemus-Pütz über die Schulreform und die Haltung der Gewerkschaften
Gegensätzliche Begebenheiten oder eine globale Entwicklung?
Frau Liliane Bredemus-Pütz stellt die Ohnmacht der Arbeitnehmer gegenüber einem Multimillionärkonzern in einem globalisierten Umfeld fest und fällt gleichzeitig über die Lehrergewerkschaften her, die sich gegen eine Schulreform und eine Reform im öffentlichen Dienst wehren, die eben diese Ohnmacht noch verstärken soll.
Wenn mir etwas in meiner über 30-jährigen Praxis als Grundschullehrerin am Herzen liegt, dann ist es das Bestreben Jungendlichen Zukunftsperpektiven zu bieten. Dies scheint mir übrigens eine Grundvoraussetzung für die Ausübung des Lehrerberufs zu sein.
Es geht also darum zu klären welche Zukunftsperspektiven in welcher Gesellschaft wir erstreben ! Dabei möchte ich gleich vorausschicken, dass ich eben im OGBL bin, weil ich für eine Gesellschaft eintrete, in der die Arbeitnehmer den Multinationalen nicht ohnmächtig ausgeliefert sind. Daher sehe ich meinen Auftrag in der Schule darin, die Jugendlichen zu befähigen, die Welt in der sie leben zu verstehen und sie gegebenenfalls auch zu verändern, wenn sie den Zukunftsperspektiven weiter Teile der Bevölkerung nicht gerecht wird.
Beide oben genanten Reformen scheinen mir aber diesem Bildungsauftrag in einem effizienten Zusammenspiel entgegenzuwirken und deshalb versuche ich sie zu bekämpfen, im Einklang mit meiner Gewerkschaft, die sich genauso für die Zukunftsperspektiven der Stahlarbeiter wie für die der kommenden Generationen einsetzt. Im Einklang auch mit vielen anderen Lehrern, die in ihrer täglichen Arbeit die tiefgreifenden Veränderungen der Schule erleben und ein immer größeres Unbehagen in der Ausrichtung ihrer pädagogischen Arbeit empfinden.
Dass die pädagogische Arbeit der Lehrer sich ständig dem veränderten gesellschaftlichen Umfeld anpassen muss, darüber gibt es im SEW/OGBL keinen Zweifel und die Diskussionen über neue pädagogische Erkentnisse sind Bestandteil unserer gewerkschaftlichen Arbeit. Eine konsumorientierte Gesellschaft, die unsere Jugend über die Unterhaltungsindustrie immer stärker für ihre kurzfristigen, wirtschaftlichen Strategien benutzt und dadurch allein schon das Bewusstsein vieler Kinder und Jugendlichen so intensiv belagert, dass Lehrer heute verstärkt um die Aufmerksamkeit ihrer Schüler kämpfen müssen, stellt uns in der Tat vor immer neue Aufgaben. Wir entwickeln Methodenvielfalt, wir differenzieren, um so weit als möglich die Schüler dort abzuholen, wo sie bereit sind sich weiterzuentwickeln, wir übernehmen immer mehr Erziehungsaufgaben, um die Voraussetzungen für eine gelungene Wissensaneignung und ein selbständiges Denken zu schaffen.
Gleichzeitig aber entwickelt die Industrie immer ausgeklügeltere Produkte, die es z. B. einjährigen Kindern schon erlauben sich mit dem Handy der Eltern zu beschäftigen, um dann etwas später absolut abhängig von dessen Gebrauch zu werden. Angesichts solcher Entwicklungen, sehen viele Lehrer ihre Arbeit in der Schule mehr und mehr in Frage gestellt und beklagen sich in der Tat über einen anhaltenden Niveauverlust. Dabei ist ihnen unerklärlich wieso unsere Gesellschaft die Ursachen für diesen Niveauverlust immer wieder in den Unzulänglichkeiten der Schule und nicht bei oben genannten Entwicklungen sucht.
Nichtdestotrotz versuchen sie immmer wieder ihren Schülern nicht nur die elementaren Fertigkeiten der Wissensaneignung zu vermitteln, sondern zudem auch noch die Freude an der Erkenntnis, die zum Motor des selbständigen, gegebenenfalls kritischen Denkens wird. Dies gelingt zumindest im Grundschulalter hauptsächlich über das vorgelebte Beispiel der Erwachsenen, in erster Linie Eltern und Lehrer, die den Kindern den Eintritt in die Welt des Wissens eröffnen, indem sie ihnen vor Augen führen, dass sich die Anstrengung dorthin zu gelangen lohnt, entgegen anderslautenden Verlockungen aus der Welt der Unterhaltungsindustrie.
Diese emanzipatorischen Ziele, für die sich meine Gewerkschaft auch in der Vergangenheit immer schon eingesetzt hat, gilt es gerade heutzutage verstärkt auch gegen solche Kräfte durchzusetzen, die nur von Anpassung reden.
Nun sind aber die aktuellen Schulreformen, genauso wie auch die Reform des öffentlichen Dienstes auf eine ebensolche Anpassung an die vorherrschenden wirtschaftlichen Begebenheiten ausgerichtet. Diese Überlegungen haben sich bei mir erst nach und nach und aus den Erfahrungen in der alltäglichen Praxis in der Umsetzung der Reform im « Enseignement fondamental » herausgeschält. Ich möchte der Frau Delvaux deshalb auch nicht unterstellen, dass sie es bewusst darauf angelegt hat unsere öffentliche Schule zu zerstören, indem sie die Emanzipation insbesondere der Sozialschwachen gefährdet. Ich muss ihr allerdings vorwerfen, dass sie entgegen aller Warnungen aus der Schulpraxis, an bürokratischen und bildungsfeindlichen Reformplänen festhält und gleichzeitig die geplante Reform des öffentlichen Dienstes mitträgt, um aus Lehrern Untertanen zu machen.
Dabei war man sich zu Beginn des Reformvorhabens noch ziemlich nahe gewesen für eine Schule mit mehr Chancengleichheit und einer weitestgehenden Integration aller Schüler durch spezifische Fördermaßnahmen vor Ort. Bei der Frage der Verstaatlichung war Frau Delvaux selbst zunächst noch skeptisch und teilte die Bedenken des SEW/OGBL, ließ sich aber von den Beführwortern umstimmen. Kurz drauf hatte die bürokratische Sichtweise gesiegt, wobei vieles unter falschen Gesichtspunkten verkauft wurde. Dass es ungerecht ist, wenn einige Gemeinden einen Klassendurchschnitt von 12-14 Schülern pro Klasse und daneben noch etliche Fördermaßnahmen aufzeigen können, während bei anderen der Klassendurchschnitt bei 18-20 Schülern liegt und es keine weiteren Fördermaßnahmen gibt, stimmt natürlich besonders dann, wenn sich der größere Personalaufwand nicht durch ein schwierigeres soziales Umfeld erklären lässt.
Deshalb wurde im Rahmen der Vertaatlichung der Grundschulen festgehalten, dass sich die Gemeinden in Zukuft bei der Erstellung ihrer Schulorganisationen an ein Kontingent von Schulstunden zu halten hätten, das ihnen vom Ministerium, in einer komplizierten Berechnung ausgehend von soziökonomischen Daten und Schülerzahlen zugestanden wird. Nun stellt sich aber im Nachhinein heraus, dass es dabei nicht bloß um eine gerechtere Aufteilung der Personalressourcen geht, sondern um deren Reduzierung, zumindest im Rahmen ihres direkten Einsatzes in den Schulen. Dies bedeutet, dass 85% der luxemburgischen Gemeinden, die sich bisher für eine gute Betreuung ihrer Grundschüler einsetzten, innerhalb von 10 Jahren mehrere Lehrerposten abbauen müssen, während lediglich 15% der Gemeinden mit einigen zusätzlichen Posten rechnen können. Insgesamt wird sich der Abbau bei gleichbleibender Schülerzahl auf ungefähr 400 Posten belaufen. Nun verteidigt Frau Delvaux sich immer wieder damit, dass sie nicht wirklich Posten abbaue, sondern, dass im Gegenzug desto mehr Personal zur Verwaltung der Schulen zur Verfügung stünde, angefangen bei den « Coordinateurs de cycle » und den « Comités d’école », über die « Instituteurs ressources », bis hin zur «Agence pour le développement de la qualité scolaire », den Beamten im Ministerium und demnächst wohl auch noch der Aufstockung der Posten im Inspektorat.
Nun ist damit aber nicht genug, denn all diese Posten im Verwaltungsapparat produzieren natürlich auch zusätzliche Verwaltungsarbeit die sie dann aber keineswegs eigenständig bewältigen können, sondern für die sie auf die Mitarbeit der Lehrer in den Schulen angewiesen sind. Diese müssen also neben der Betreuung zusätzlicher Schüler auch noch zusätzliche Verwaltungsaufgaben erfüllen. Nun ja, Frau Bredemus- Pütz meint dafür habe man die Lehrer im Fondamental ja auch, durch die verspätete Anerkennung ihrer Ausbildung, endlich mit dem Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes in die ihren Studien angemessene staatliche Laufbahn versetzt, was einer Gehaltsaufbesserung gleichkam.
Nehmen wir also mal an, die Lehrer hätten kein Recht sich über diesen Zustand zu beklagen. Welchen Nutzen ziehen aber die Schüler daraus ? Nun sie werden besser verwaltet ! Ihre Kompetenzen werden genauer unter die Lupe genommen und eingehender dokumentiert, ihre Zukunftschancen werden intensiv in der « Equipe pédagogique », gegebenenfalls auch noch in der « Commission d’inclusion scolaire » und in der « Equipe multiprofessionnelle » diskutiert. Es werden darüber Sitzungsprotokolle angefertigt und Dossiers angelegt. Ihre Schule bekommt einen Bericht über die durchschnittliche Zeitspanne in der sie die 4 Zyklen durchlaufen, wobei die effizientere Schule natürlich viele, schnelle Schüler vorzeigen kann. Auch ihre Leistungen bei standardisierten Tests können ihnen persönlich, sowie ihrer Schule, zum Ruhm gereichen und gegebenenfalls bei einem späteren Auswahlverfahren weiterhelfen. Da ihre Lehrer immer mehr Zeit in die Beobachtung und die Dokumentation ihrer Kompetenzen investieren, bekommen sie ein immmer genaueres Feedback zu ihren unterschiedlichen Kompetenzen. Auch wenn die « Bilans intermédiaires » nicht immer logisch aufgebaut und klar verständlich sind, hat man jetzt doch schwarz auf weiß wieviele Etappen noch fehlen bis zum « socle atteint », zum « niveau avancé » oder gar zum « niveau d’excellence ». Natürlich versuchen die Lehrer ihren Schülern zu helfen diese Etappen noch zu schaffen, doch die Zeit zum gemeinsamen Üben und Nachdenken wird immer knapper und letztendlich werden die einzelnen Schüler immer weitgehender für ihre individuellen Fortschritte verantwortlich gemacht. Nun sind die allermeisten Grundschüler aber noch nicht so autonom, dass man das von ihnen verlangen darf. Wenn dann die Eltern entweder die Zeit oder die nötigen Kenntnisse dazu nicht aufbringen, bleibt nur noch die Möglichkeit der außerschulischen Nachhilfe.
Auf diesem Gebiet entwickelt sich mit der Zeit ein sehr lukratives Geschäft, dem die Schule mit ihren Kompetenzprofilen und gleichzeitig reduzierten Übungsmöglichkeiten immer mehr «Kunden » liefert.
Viele Lehrer spüren, dass die aktuelle Entwicklung der Schule mit ihrem immer gewaltigeren administrativen Aufwand, mit ihren Rationalisierungsbestrebungen und ihrer Reduktion des eigentlichen Bildungsauftrags in technokratische Kompetenzraster, die Schüler nicht klüger sondern dümmer macht, weil es nicht mehr darum geht sie zum Denken anzuregen, sondern allenfalls zum Produzieren. Sie verteidigen eine pädagogische Freiheit, die es ihnen erlaubt kurzfristige, technokratische Lernziele zu hinterfragen, um ihren Schülern einen lebendigen Zugang zum Wissen zu vermitteln. Sie fördern das gemeinsame Lernen, das die Kohäsion der Gesellschaft nicht aus dem Auge verliert und wehren sich gegen den Konkurrenzgedanken, der die Schüler nebeneinander und gegeneinander lernen lässt, in der Optik die Kompetenzstufen schneller zu überwinden.
Nun will die Reform des öffentlichen Dienstes sie auch dieser Freiheit noch berauben. Nicht nur, dass ihnen die Obrigkeit über die « Gestion par objectifs » die Eckdaten der Schulentwicklung vorgibt, auch ihre persönlichen Leistungen sollen sie über Selbsteinschätzungen und Beurteilungsgespräche mit ihren Vorgesetzten ins richtige Licht rücken. Für die eigentliche Arbeit bleibt immer weniger Zeit, es wird auch nicht mehr danach gefragt, hauptsache man erfüllt die administrativen Bestimmungen !
Längst hat die Mehrheit der Lehrer erkannt, dass es bei all diesen Reformen nur um den Aufbau einer schönen Fassade geht hinter der, der eigentliche Bildungsauftrag der Schule mehr und mehr zusammenbricht, weil niemand mehr daran glaubt, dass die zukünftigen Generationen die Welt noch erkennen und verändern können.
Die Haltung der Gewerkschaft erklärt sich dadurch, dass sie diese Hoffnung nicht aufgegeben hat und deshalb eine andere Entwicklung verlangt, nicht nur in einem Land, das keine eigenen Rohstoffe besitzt, sondern in einer Welt, in der die Rohstoffe immer knapper werden und einige wenige daran profitieren, dass andere sich nicht mehr wehren können.
Membre de la direction syndicale