Noch eine Strukturreform!

Noch eine Strukturreform!
Nach der Reform der Grundschule, des Berufsunterrichts und der ersten 3 Jahre von ES und EST steht eine weitere Strukturreform ins Haus, nämlich die des oberen Zyklusses des klassischen Sekundarunterrichts und des “Régime technique” des technischen Sekundarunterrichts. Dies bringt mich zu einer persönlichen Bemerkung, die mir sehr am Herzen liegt.
Nicht über die Reformwut unserer Ministerin, die sich wohl einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde zum Ziel gesetzt hat. Nicht über die neoliberalen Dogmen die da heißen Kompetenzunterricht und Schulautonomie, welchen unser Schulsystem derzeit ausgesetzt ist. Nicht über den voraussichtlichen Niedergang des Berufsunterrichts infolge des neuen Gesetzes, welches die nationalen Examen abgeschafft hat und jede Schule nach ihren Maßstäben bewerten lässt. Nicht über den Leistungsabfall vieler Schülerinnen und Schüler, an dem die großzügigen Kompensationsbestimmungen im unteren Zyklus wohl eine Großschuld tragen. Nicht über den Eindruck, den ministeriale Schreibtischtäter den Lehrern vermitteln, sie hätten bis jetzt alles falsch gemacht und es gehe nun darum, ganz neu anzufangen.
Nein, nicht über diese leidigen Themen, sondern über eine rezente Äußerung meiner geschätzten Kollegin Colette, der man bestimmt nicht pädagogischen Konservatismus vorwerfen kann!
Sie meinte, im Kontext der jetzigen Struktureformen welche allesamt auf Autonomie setzen, stelle niemand eben diese Autonomiebestrebungen der Schülerinnen und Schüler in Frage. Politiker sähen sie als gegeben und natürlich an und seien erstaunt, wenn man als LehrerIn daran zweifele.
Diese Äußerung hat nämlich meine eigene Erfahrung bestätigt, welche ich in letzter Zeit verstärkt mache:
viele meiner Schüler sind gar nicht daran interessiert, autonom zu sein!
Dafür gibt es multiple Ursachen: systematische Ablenkung von dem was wichtig ist (siehe Handymania und Knopf im Ohr); Vorspielen falscher Tatsachen (siehe stundenlanges Computerspielen und Reality-TV); Konsumdenken, welches auch Verantwortungslosigkeit (der Feind jeglicher Autonomie!) und Mangel an Kreativität beinhaltet; natürlich auch das unverantwortliche Verhalten erwachsener Vorbilder und – oft an erster Stelle – ungelöste Probleme im Elternhaus. Schulische Strukturreformen setzen diesen Defiziten nichts entgegen, im Gegenteil: sie fixieren die Aufmerksamkeit und die Kräfte auf den äußeren Umbau des Systems, während die wesentlichen Probleme im Innern unangetastet bleiben und sich sogar noch verschlimmern.
Meine Aufforderung geht deshalb an unsere Politiker: Seid nicht auf beiden Augen blind, tragt der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung und hört auch mal den Lehrerinnen und Lehrern wirklich zu; sie wissen wovon sie reden!
Professeur de sciences écomomiques et sociales au LNB
Vice-président du SEW/OGBL