OGBL-Bildungskolloquium: PISA-Nachlese: Gratis-Bildung für alle (Alex Fohl (tageblatt: 23/5/2008))

Internationale Schüler- vergleichsstudien haben auch in Luxemburg einiges in Bewegung gesetzt. Dennoch sind PISA & Co. bei den Bildungsexperten nicht unumstritten. Im Anschluss an die OGBL-Bildungstagung unterhielten wir uns mit der Forschungsbeauftragten der „Internationale de l'éducation“ Laura Figazzolo.
Tageblatt: Sie scheinen eine eher kritische Haltung gegenüber internationalen Schülervergleichsstudien zu haben. Warum?
Laura Figazzolo: „Selbstverständlich begrüßen wir diese Art von Studien. Dennoch sind sie nur Momentaufnahmen von vereinzelten Bildungsaspekten. Sie bieten eine Fülle an quantifizierten interessanten Daten und haben sicherlich dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit für bildungspolitische Fragen zu steigern. Sie reichen aber nicht aus, um das jeweilige Schulsystem als Ganzes bewerten.“
„T“: Das Hauptaugenmerk bei PISA liegt auf den Ergebnissen, argumentieren Sie. Was sollten Gesellschaft und Politik von diesen Tests lernen, wenn man bedenkt, dass unsere Wirtschaftsordnung sehr outputund profitorientiert ist?
L.F.: „Die Wirtschaftsordnung sollte aber nicht die Grundlage von Bildung sein. Daher sollten wir keinen ökonomischen Ansatz benutzen, um Bildung zu bewerten. Viel wichtiger als Ergebnisse und ein leistungsorientierter Ansatz sind gesellschaftliche, soziale, kulturelle, ideologische, psychologische und personenbezogene Fragen.“
„T“: Ja, aber welche Lehren können wir aus solchen Studien ziehen?
L.F.: „Wir erfahren beispielsweise, wie italienische Schüler mit Naturwissenschaften oder Mathematik zurechtkommen. Wir können daraus interessante Wechselwirkungen zwischen Leistungsniveau und sozio-ökonomischem Hintergrund ableiten. Sie taugen wie gesagt aber nicht zu einer tieferen Analyse der jeweiligen Bildungssysteme.“
„T“: Was unternimmt die „Internationale de l'éducation“, um Prozedur und Methodologie der Testverfahren in einem gewerkschaftlichen Sinn zu beeinflussen?
L.F.: „Wir arbeiten mit dem 'OECD Trade Union Supervising Comitee' zusammen. Dieses Gremium erlaubt Gewerkschaften, sich an den OECD-Aktivitäten zu beteiligen und sie zu beeinflussen. Wir versuchen, den Sozialdialog mit der OECD und den Regierungen anzuregen.“
„T“: Können Sie nach drei PISA-Auflagen bereits erste Erfolge verbuchen?
L.F.: „Schwer zu sagen. Die Präsentation der PISAStudie wurde verändert, das ist sicherlich interessant. Doch der ökonomische, ergebnisorientierte Ansatz bleibt. Das ist für uns der kritische Punkt. Ich denke nicht, dass wir das verändern können.“
„T“: Haben Sie daran gedacht, alternative Untersuchungen durchzuführen, um die Lücke, die PISA hinterlässt, zu schließen?
L.F.: „Das setzt große personelle und finanzielle Ressourcen voraus. Und ich weiß nicht, ob das unsere Aufgabe sein sollte. Wir vertreten die Interessen der Lehrer. Damit haben wir genug zu tun.“
„T“: Trotz Ihrer Kritik an der OECD-Schülervergleichsstudie kann man die Tatsache nicht leugnen, dass PISA wesentlich dazu beigetragen hat, in Luxemburg groß angelegte Bildungsreformen einzuleiten, die sowohl Unterrichts- und Lernmethoden als auch Evaluationsinstrumente und die Schulentwicklung als solche betreffen. Was ist falsch daran? Was ist falsch daran, den Schüler in den Mittelpunkt des bildungspolitischen Reformprozesses zu rücken?
L.F.: „Fakt ist, dass PISA in meinen Augen den Schüler nicht in den Mittelpunkt rückt.“
„T“: Nicht PISA, aber der in Luxemburg angestrebte Reformprozess.
L.F.: „Wenn sie auf der Grundlage des beschränkten PISA-Ansatzes erfolgen, ist das problematisch für uns. Oft werden OECD-Empfehlungen kritiklos von Regierungen übernommen. Sie gelten oftmals als das Wahre. „Lehrer sind nicht bloß Vollstrecker“. Uns beunruhigt auch der PISA-Ansatz, der einerseits von Input und andererseits von Output ausgeht und beides miteinander in Verbindung setzt. Was dazwischen liegt, die Lehrer, werden dabei nicht berücksichtigt. Das sehen wir mit Sorge. Lehrer sind Menschen, nicht bloß Vollstrecker.“
„T“: Welche Rolle sollten Gewerkschaften in einem bildungspolitischen Kontext spielen? Manchmal hat man das Gefühl, als ob sie den Reformprozess abzubremsen versuchen, weil sie in erster Linie die Lehrerinteressen im Blick haben.
L.F.: „Ich denke, dass es einen Ansatz gibt, allen Menschen den Zugang zur Bildung zu ermöglichen. Lehrer und Gewerkschaften treten dafür ein, dass öffentliche Bildung allen gratis zur Verfügung steht. Für uns bleibt das die Grundlage, die nicht verhandelbar ist. Doch in vielen Fällen gibt es Kräfte, die dieses Prinzip infrage stellen. Aus meiner Sicht bekämpfen Lehrergewerkschaften Bestrebungen, Bildung zu privatisieren, zu Recht. Diese Kräfte tragen nicht zur Verbesserung von Bildung bei. Wenn sie Lehrergewerkschaften in diesem Sinne als konservativ bezeichnen, dann ist es gut, konservativ zu sein.“
„T“: In Luxemburg geht es derzeit nicht so sehr um Privatisierung von Bildung, sondern um eine grundlegende Reform der öffentlichen Schule.
L.F.: „Um den Luxemburger Kontext angemessen beurteilen zu können, fehlen mir die genauen Kenntnisse.“