Die 'TITANIC'-Fahrt des öffentlichen Schulsystems: Lusophone Schule,Spitze eines gefährlichen Eisbergs!

Und es geht weiter! Das Ausbluten der öffentlichen Schule und damit einhergehend Desintegration statt Integration unserer Gesellschaft. Es ehrt unsere Schulministerin Mady Delvaux-Stehres, dass sie bei Gesprächen mit der „Universidade lusofona de Humanidades e Tecnologias“ viel Wert auf das „Zusammen aufwachsen“ gelegt hat und auf die Gefahr einer Art Verselbständigung verschiedener Gemeinschaften in unserem Schulsystem hingewiesen hat. „J'oeuvre pour une école dans laquelle tous les enfants peuvent trouver une réussite qui correspond à leurs capacités“, hat die Ministerin sich ausgedrückt. Ich wage es, diese Aussage sogar zu glauben, drücke aber gleichzeitig meine Zweifel aus, ob sie dazu überhaupt noch die Möglichkeit und den politischen Spielraum hat. Wird nicht zuletzt das ach so schwangere und lang erwartete neue Schulgesetz durch auf Nebenschauplätze verlegte Scharmützel und das Eingehen fauler Kompromisse seiner eigentlichen Essenz beraubt, wenn überhaupt geboren?
Wie konsequent sind sich denn unsere PolitikerInnen?
Da gibt es doch staatlich abgesegnete Konventionen mit katholischen Privatschulen, von jeder der letzten Regierungen verfeinert und verbessert, zum Vorteil der bestehenden Angebote, wo massiv öffentliche Gelder in Privatinitiativen fließen, da gibt es immer mehr Sonder-, Elite- und Streberschulen, die anscheinend mit besseren Methoden, SuperlehrerInnen, ausgewählten Infrastrukturen, hoch motivierten SchülerInnen und Eltern und auf Einzelinteressen angepasster Didaktik eine Art Wunderrezept bieten, um Spitzendiplome zu erhaschen. Man muss eben nur noch ein paar Euros hinzublättern und dann kriegt man die Extrawurst auf dem gewünschten Plateau serviert. Wenn dann das luxemburgische Schulsystem nicht mehr die Gewähr bietet, gibt es weiterführende, ausländische Hochschulen, mit guten Kontakten zu hiesigen Gesellschaftsbaronen, wo man mit den nötigen Relationen und Geldmitteln die Qualifikation zu höheren Posten in Politik und Wirtschaft er“lernen“ kann. Viele Kinder aus gut angesehenen, auch in der Politik bekannten, luxemburgischen Familien geben dafür das beste Beispiel her. Nur ist das leider nicht allen Kindern möglich.
Auch öffentliche Experimentierschulen grasen in der Regelschule ab und bieten das „Mehr“ an Pädagogik und Qualität, das den Übrigbleibenden, SchülerInnen, LehrerInnen, wie Eltern ja dann notgedrungen verwehrt bleibt. Die öffentliche Darstellung von diesen Musterschulen erweckt Erwartungen, teils berechtigte, regt Appetit an und...diskreditiert indirekt die öffentliche Schule. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Die öffentliche Schule ist nicht perfekt und entspricht in vielen Punkten nicht den heutigen Anforderungen. Sie findet sehr oft nicht die Antwort auf sich wandelnde soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gegebenheiten. Genau hier aber liegt der Hase im Pfeffer.
Die öffentliche Schule als Ganzes braucht Unterstützung und Förderung, braucht politische Klarheit und Ehrlichkeit, braucht personelle und materielle Mittel, braucht angesehene und hoch angesetzte Qualifikationen derer, die unterrichten, braucht Anerkennung ihres wichtigen Bildungs- und Erziehungsauftrages, braucht auch besonders konstruktive und moralische Unterstützung so wie Respekt seitens der Entscheidungsträgerinnen aus Politik und Gesellschaft.
Warum sollten minoritäre Religionsgemeinschaften und andere Interessegruppen nicht genau so wie längst anerkannte Exklusivvereine auf Spezialbehandlung für ihren Nachwuchs zurückgreifen können? Auf Papier geschriebene Konventionen sind geduldig und sehr oft mit viel versprechenden Werbeeinlagen garniert, die staatliche Kontrolle beschränkt sich auf ein Minimum, damit das gute Gewissen erhalten bleibt; bei Einweihungen und Großereignissen treffen sich die oberen Zehntausend und klären mögliche finanzielle Defizite, indem alle möglichen öffentlichen Geldquellen angezapft werden, und das, für das betroffene Personal, oft nicht einmal im Einklang mit dem bestehenden Arbeitsrecht.
Wen wundert es also, dass plötzlich der Ruf nach neuen öffentlichen Privatschulen zunimmt, besonders wenn wir auch noch auf dem guten Weg sind, die Kinder mit weiteren sprachlichen Spitzfindigkeiten, diesmal auf Luxemburgisch zu beglücken, mit denen sie in ihrem späteren Leben wenig oder nichts anfangen können?
Auch hier möchte ich nicht falsch verstanden werden: Ich bin durchaus damit einverstanden, dass eine gemeinsame Umgangssprache ein wichtiger Integrationsfaktor ist, dies aber als ausgeprägtes Schulfach, als Selektionsinstrument durch Notenbewertung einzusetzen grenzt an Schwachsinn, auch wenn einige sich mit solchen Ideen in Politik und einer rein luxemburgischen Restgesellschaft damit einen Namen machen oder Geld verdienen möchten. Überlassen wir das Glück, sich in den hohen Sphären der luxemburgischen Orthographie, Grammatik und Eigenartigkeiten herumzutoben doch einigen Spezialisten, deren Arbeit ich hoch anerkenne und die sicherlich auch für die nationale Identität von Nutzen ist, aber eben für ein berufliches und persönliches Weiterkommen nicht unbedingt nötig sind, genauso wie viele Franzosen die Spitzfindigkeiten und sprachlichen Erfindungen der Eminences grises der Académie française gescheiter weise nicht einmal im Ansatz kennen, geschweige denn die Raffinessen der „Accords du participe passé“, denen immer noch viele luxemburgische SchülerInnen zum Opfer fallen.
Dass repräsentative und weniger repräsentative Bevölkerungsgruppen in unserem kleinen aber reichen Luxemburg auf die Idee kommen, öffentliche Mittel zu welchen Zwecken auch immer anzuzapfen ist ihr gutes Recht, denn unsere, und besonders auch die europäische Gesetzgebung hat dazu das fruchtbarste Terrain geschaffen.
Dass dabei soziale Kohärenz, Solidarität und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben, darf uns nicht wundern, denn wer A sagt, muss das B auch mit in Kauf nehmen und nicht darüber jammern, wenn ein steigender Anteil unserer Bevölkerung ins mögliche Abseits gedrängt wird, weil besser Informierte oder besser Verdienende sich immer mehr absondern.
Zu dieser ambivalenten politischen Haltung gehört auch, wenn man den wichtigsten Akteuren der öffentlichen Schule, denen die das A und O der Schulqualität ausmachen, den LehrerInnen, die notwendige Ausbildung, die moralische und materielle Anerkennung ihrer beruflichen Verantwortung jahrzehntelang verweigert, ja, sie sogar in der öffentlichen Meinung aus elektoralen Gründen oder irgendeinem schlecht verarbeiteten persönlichem Frust heraus diskreditiert.
Liebe PolitikerInnen jeder Couleur, denn nur die Farbe der Fahne macht da noch einen Unterschied, damit die parlamentarische Demokratie weiter funktionieren kann und das liebe Volk alle paar Jahre Ihr Handeln legitimieren kann, wenn es denn überhaupt noch bei wichtigen Fragen konsultiert wird, Ehrlichkeit und Konsequenz ist gefragt, vielleicht auch wirklich transparenter Dialog, mit der Möglichkeit, auch gehört zu werden.
Die öffentliche Schule ist in größter Gefahr, aus einer staatstragenden Funktion ins Abseits gedrängt zu werden, und damit nicht mehr ihrer Rolle zur gesellschaftlichen Kohärenz gerecht zu werden. Dies ist besonders gefährlich in einem kleinen Land, wo auf engstem Raum immer mehr Menschen verschiedenster Herkünfte und kultureller Unterschiede miteinander und nicht nebeneinander leben sollen und müssen. Die Konsequenzen hiervon wie Abgrenzung, Armut und Kriminalität, müssen ihre Totengräber dann selber tragen. Aber ein Rezept hiergegen scheinen ja immer mehr Überwachungskameras zu werden, welche öffentliche Freiheiten im Namen der Sicherheit (von wem und von was?) ernsthaft in Gefahr bringen.
Die öffentliche Schule braucht Veränderungen, Verbesserungen, daran ist kein Zweifel, dazu sind auch die LehrerInnen gefordert, besonders aber die Politik, landes- und europaweit, die darauf aufpassen muss, dass die für Schulabgänge zu bezahlenden Preise nicht genauso auf der Börse gehandelt werden, wie Öl- oder Lebensmittelpreise, ein Gruß an die fragwürdigen Vorteile einer unkontrollierten und immer unkontrollierbarer werdenden freien Marktwirtschaft, vor denen immer mehr Bürger, welche nicht von diesen Mechanismen profitieren können, eine steigende Angst bekommen, weil sie spüren, wie sie immer mehr ins Abseits gedrängt werden, auch über den Weg einer öffentlichen Restschule.
Aloyse Ramponi,
membre du comité préscolaire/primaire du SEW