Aus dem Leben einer Schullehrerin Anno 2009

22.11.2009

Die Forelle: la truite, Frau Jablonsky macht einen Haken dahinter und wirft einen Blick auf das andere Blatt: Le pêcheur sort une truite de l'eau. Toni hat also nicht nur die Übersetzung auswendig gelernt, nein, er kann das Wort auch sinngemäß richtig in einen Satz einfügen. Schon schwebt ihr Kugelschreiber über dem Feld „ Compétence acquise“ als ihr brennend heiß einfällt, dass man eigentlich erst behaupten kann, dass Toni die „la truite“Kompetenz erreicht hat, wenn er das Wort in einem freien Text zum ersten Mal freiwillig benutzt. Hinzu kommt, dass sie Tonis Lesekompetenz wird positiv bewerten müssen, da er ansonsten, „la truite“ gar nicht hätte richtig einsetzen können.

Sie macht sich also eine Bemerkung in ihr Kompetenzheft über Toni „Freie Produktion: Toni: Auf la truite achten“ und will ein Kreuz bei „compétence en voie d'acquisition“ machen. Ein schrecklicher Gedanke lässt sie allerdings innehalten. Die Eltern werden das nicht verstehen! Toni zeigt, dass er weiß, was Forelle auf französisch heißt und setzt das Wort richtig ein. Wie sollen sie begreifen, dass das noch kein Beweis für die definitive Aneignung des Wortes ist. Sie würde die Eltern darüber aufklären müssen. Das ginge zwar einfacher in einem kurzen Gespräch, aber Frau Jablonsky erinnert sich noch mit Schaudern daran, wie sie vom Inspektor zusammengestaucht worden ist, als sie „ Könnten wir einmal miteinander sprechen“ in ein Aufgabenheft geschrieben hatte. Die Eltern hatten sich beschwert, sie hätten es nicht nötig auf eine solch autoritäre und unhöfliche Art und Weise in die Schule regelrecht zitiert zu werden.

Sie würde also einen höflichen Brief mit allem Pipapo schreiben müssen um dieses Gespräch zustande zu bringen. Dann konnte sie eigentlich auch einfach einen kleinen Brief schreiben, in dem sie den „LatruiteKompetenz“Sachverhalt erklärte.

Kopfschüttelnd erinnert sie sich, dass diese Forelle ihr schon vorher einige Schrecksekunden bereitet hatte. Der Inspektor war damals anwesend, als sie die Vokabel eingeführt hat und er hat danach moniert, dass „la truite“ ja eigentlich nicht zum Wortschatz vor allem der sozial schwachen Schüler gehören müsse. Zum Glück hat sie gleich dagegen halten können, dass im „plan de réussite scolaire“ der Gemeinde Kloppingen festgehalten worden war, dass die Schüler der Gemeinde sich einen regional spezifischen Wortschatz aneignen sollten.

Da in Kloppingen eine ganze Reihe von Fischweihern für Kurzweil und Entspannung an Wochenenden sorgten, war es eigentlich selbstverständlich, dass ein Kloppinger Schüler „la truite“ lernen musste, da die Wahrscheinlichkeit groß war, dass jeden zweiten Sonntag „truite meunière“ auf dem sonntäglichen Menu stand. Der Inspektor ist damals einigermaßen beeindruckt gewesen.

Dabei war sie haarscharf an einer anderen Katastrophe vorbeigeschrammt. Ihre junge Kollegin hatte im Rahmen der Arbeitsteilung im Zyklus, das Arbeitsblatt mit den Vokabeln erarbeitet. Frau Jablonsky hatte gerade in die Klasse gehen wollen und dabei das Blatt schnell überflogen, als sie mit Entsetzen bemerkt hatte, dass die Kollegin „la trouite“ geschrieben hatte. Sie hatte das „o“ also schnell mit Tippex übermalt und die Blätter noch einmal fotokopiert.

Frau Jablonsky lächelt. Welch ein Glück war doch diese zyklische Zusammenarbeit für die Kollegen, die noch etwas unsicher in punkto Grammatik oder Sozialverhalten waren. Auf jeden Fall hatte zehn Minuten nach der Tipppexaktion, der Inspektor in der Klasse gestanden. Vielleicht gab es den lieben Herrgott ja doch.

Frau Jablonsky schrickt hoch. Ihre Gedanken sind abgeschweift. Dabei geht die Uhr bereits auf Mitternacht zu und sie sitzt immer noch bei Tonis erstem Wort. Wohin also jetzt mit dem Kreuz? Es müsste ein Kästchen geben, das „compétence provisoirement acquise“ heißt. Das würde in diesem Fall passen. Sie würde dies in der nächsten Vollversammlung des Lehrpersonals vorschlagen. Mit größter Wahrscheinlichkeit bedeutete die die Einrichtung einer weiteren Arbeitsgruppe, aber das Thema war es wert. Sollte das Kästchen eingeführt werden, würden es allerdings fünf Kästchen sein und eine ungerade Anzahl durfte es ja nicht geben... wegen der Mitte. Sie würde also auch noch ein Kästchen, zum Beispiel: „ acquisition de premières notions“ vorschlagen.

Der Kirchtum von Kloppingen schlägt zwölf. Frau Jablonsky fährt wieder hoch. Jetzt war es definitiv Zeit sich Gedanken über Tonis nächste Übersetzung zu machen. Vor allem würde sie morgen überhaupt keine Zeit haben. Der Inspektor hat eine obligatorische Portfoliofortbildung angesetzt. Sie hat ihm zwar gesagt, sie habe bereits vier Bücher über Portfolioarbeit gelesen, aber der Inspektor hat lediglich den Boden angestarrt und ein „Sie müssen“ zwischen den Lippen hervorgepresst. Manchmal empfindet Frau Jablonsky ihren Beruf doch als recht zeitraubend.

Alain Adams


P.S. Wer nach der Lektüre glaubt, der Text sei eine reine satirische Überspitzung, sollte wissen, dass alles was in dem Text steht, einem Kollegen so oder ähnlich passiert ist. Natürlich handelt es sich dabei um die Erlebnisse mehrerer Kollegen.

P.P.S. Wer nach der Lektüre glaubt, ich sei ein Gegner der aktuellen Reformen, irrt. Ich bin ein begeisterter Verfechter der Bewertung nach Kompetenzen und der Teamarbeit, sofern sie möglich und sinnvoll ist. Angesichts der aktuellen Situation in Luxemburg fallen mir allerdings eine Reihe von altbekannten Sprichwörtern ein: „Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht“, „Viele Köche verderben den Brei“ und vor allem „Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“.