Bildungsqualität und Evaluation (Journal 5/2005) Arendt Patrick
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Bildungsqualität und Evaluation
"Die Qualität der Bildung und der Schule verbessern", lautet das neue Motto. Nachdem sich unser Schulsystem in seinen Methoden, Zielen und Inhalten jahrzehntelang nicht oder kaum in Frage gestellt hat, soll fortan die Qualität der Schule gesteigert und optimiert werden. Die Kontrolle des Systems orientiert sich nach dem Output. Für jede Stufe unserer Grundund Sekundarschulen werden Schlüsselkompetenzen festgelegt, die die Schüler erreichen müssen. Die Qualität der einzelnen Schulen und des Schulsystems wird daran gemessen werden, ob und in welchem Maße die Schüler die festgelegten Minimalkompetenzen erreicht haben. Es kommt also zu einem Paradigmenwechsel. Das SEW unterstützt selbstverständlich die Bestrebungen des Ministeriums die Qualität der Schule zu verbessern. Um herauszufinden, inwieweit die Schule heute den an sie gestellten Anforderungen gerecht wird, muss sie natürlich evaluiert werden. Die Schüler werden gestestet und die Ergebnisse als Feedback an das System, die Schule und die Lehrer zurückgegeben.
Evaluation in der Schule ist nicht neu. Allerdings wurden bisher meistens nur die Schüler getestet und benotet. Sie alleine (mit ihren Eltern) mussten die Konsequenzen und die Verantwortung für "ihre" Noten tragen. Erfolg und Versagen in der Schule war und bleibt heute noch ausschließlich en Problem der Schüler. Doch nun gilt es die Schüler zu testen um eigentlich die Qualität der Schule und der Lehrer zu messen. Es ist jedem klar, dass sich die Schule einer Evaluation zu stellen hat. Trotzdem sind dabei einige Grundregeln zu beachten, damit es nicht zu Missbrauch kommt und diese Evaluation auch in den Schulen von den Lehrern akzeptiert werden kann.
Mögliche Konsequenzen und Veränderungen stehen vor der Evaluation. Bevor es zu einer groß angelegten Testaktion kommt, muss im Voraus gewusst sein, wie auf die Resultate der Tests reagiert werden kann. Es nützt nichts, durch Test Missstände aufzudecken und erst später über mögliche Veränderungen nachzudenken. Schule und Lehrer müssen im Voraus bereit sein, sich grundlegend in Frage zu stellen.
Es braucht eine strenge Trennung zwischen Evaluation der Schüler und Evaluation der Schule. Auf keinen Fall können Tests, die Schulqualität messen zur Benotung der Schüler "missbraucht" werden. Somit kommt dem Zeitpunkt des Tests eine Entscheidende Bedeutung zu.
Tests am Ende eines Zyklus weisen auf Lernerfolge oder Defizite der Schüler hin. Sie dienen einer reinen Evaluation der Schülerleistungen. Bei Defiziten, die in solchen Tests festgestellt werden, kann der Lehrer nicht mehr reagieren. Als Feedback in Bezug auf die getesteten Schüler sind sie absolut ungeeignet.
Eine riesige Gefahr solcher Test ist das beliebte Ranking. Medien und Öffentlichkeit lechzen nahezu danach Schulen und Lehrer zu vergleichen. Man möchte die besten Schulen und die fähigsten Lehrer hervorheben, aber auch schlechte Schulen anklagen und faulen, inkompetenten Lehrern auf die Sprünge helfen. Natürlich betont man im Ministerium immer, dass es auf keinen Fall zu solchen Rankings kommen kann. Im Mikrokosmos unseres kleinen Landes wird es aber kaum zu vermeiden sein, dass Resultate der verschiedenen Schulen an die Öffentlichkeit dringen und zu Rankingzwecken missbraucht werden.
Warum kann man Schulen nicht miteinander vergleichen? In der Grundschule ist es klar, dass Schulen aus verschiedenen Gemeinden oder verschiedenen Stadtteilen nicht vergleichbar sind. Der soziokulturelle Hintergrund der Kinder beeinflusst die Schulleistungen in einem solchen Maß, dass Vergleiche keine Aussagekraft haben und nur kontraproduktiv wirken können. Sollte öffentlich bekannt werden, dass verschiedene Schulen besonders schlecht abgeschnitten haben, so kann das nur dazu führen, dass die Kinder besser bemittelter Eltern in andere Schulen ausweichen und es somit schlimmstenfalls zu einer Ghettoisierung in bestimmten Stadtteilen oder Gemeinden kommen würde.
Die Sekundarschulen können auch nicht miteinander verglichen werden. Schon seit einiger Zeit hat es sich eingebürgert, dass verschiedene Schulen sich ihre Schüler in der langen Liste der Bewerber aussuchen können und sich somit viele Problemschüler in den anderen Schulen gruppieren.
Aus den oben genannten Ursachen ist es natürlich auch schwer Lehrer miteinander zu vergleichen. Sogar der nahe liegende Gedanke, Lehrer in einer gleichen Schule in Parallelklassen miteinander zu vergleichen, birgt Gefahren. Sollte etwa ein motivierter Lehrer, der bewusst viele lernschwache Schüler in seiner Klasse aufnimmt und fördert, hinter dem Kollegen eingestuft werden, in dessen Klasse sich die stärkeren Schüler befinden. Zugegeben, das Beispiel klingt überspitzt, aber es weist auf die Gefahr hin, dass Lehrer, besonders in der Grundschule, wo sie sich die Klasen auswählen können, Klassen mit vielen schwächeren Schülern nicht annehmen, damit sie ihrem Ruf nicht schaden können. In letzter Konsequenz würden solche Schüler oder Klassen ausschließlich von jungen, unerfahrenen Lehrern oder nicht qualifiziertem Personal unterrichtet werden.
Besteht dann auch die Gefahr, dass sich viele Lehrer ihre Schüler auf die Tests vorbereiten und das Erreichen der Schlüsselkompetenzen in den Hintergrund tritt? Man denke nur daran, dass jahrzehntelang in vielen Klassen, auch auf Wunsch und Druck der Eltern, die Schüler des sechsten Schuljahres ausschließlich auf die wenigen Aufgaben des Aufnahmeexamens getrimmt wurden.
Was kann nun der Zweck der Evaluation sein? Es handelt sich um ein Feedback an das System Schule und an den Lehrer. Feedback setzt natürlich voraus, dass reagiert werden kann. Das Schulsystem stellt sich also dauernd in Frage. Aber auch Schulen und Lehrer müssen auf die ihm vorliegenden Resultate reagieren können.
Das setzt erstens eine gewisse Schulautonomie aus. Den Schulen obliegt die Verantwortung für den Lernerfolg ihrer Schüler. Sie brauchen Handlungsfreiheiten, um auf die Bedürfnisse ihrer Schulen eingehen zu können. Dabei kann es auf keinem Fall so zugehenwie in Großbritannien, wo Schulen, die in der Evaluation schlecht abschneiden eine Frist gesetzt wird, um sich zu verbessern. Sollte das nicht gelingen, werden ihnen die Mittel gekürzt und in letzter Konsequenz droht den Schulen die Schließung. Da müssen wir uns wohl eher an den finnischen Schulen orientieren, die sich strengen Qualitätskriterien unterziehen müssen, gegebenenfalls aber die finanziellen und personalen Mittel der Schulen verstärkt werden, damit die Resultate verbessert werden können. Die Schule braucht die nötige Autonomie, um die bestehenden finanziellen und personalen Mittel mit großer Effizienz zum Erfüllen der Qualitätskriterien optimal einsetzen zu dürfen.
Aber auch der Lehrer braucht Autonomie. Wenn die Kompetenzen der einzelnen Stufen definiert wurden, ist es Aufgabe des Lehrers seinen Unterricht so zu organisieren, dass die Schüler diese Kompetenzen erlangen. Das bedingt in einem gewissen Rahmen eine freie Auswahl der didaktischen Methoden und der didaktischen Mittel. Von diesem Gesichtspunkt aus ist nicht nachzuvollziehen, dass die Liste der Bücher und didaktischen Mittel per Gesetz vom Ministerium festgelegt werden soll. Der Lehrer muss die freie Auswahl der Bücher und anderer Mittel in Hinsicht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ansprüche seiner Klasse behalten.
Wir brauchen keine "Testeritis" und Tests sind keine Allheilmittel! Es droht eine Welle von standardisierten Tests, die nach jedem Zyklus der Grund- und Sekundarschulen über Schüler und Schule hereinbricht. Der wissenschaftlichen Aussagekraft solcher Tests werden wir sehr kritisch gegenüber bleiben.
Wenn nach Professor Dubs eine leistungsbezogene Bezahlung der Lehrer und Professoren des Sekundarunterrichts als letzte Konsequenz dahinter stehen könnte, die man den Lehrern aber in einer ersten Instanz gegenüber verschweigen sollte, dann ist dieser Ansatz der Evaluation aus den oben genannten Gründen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Bevor es zu einer fairen Evaluation der Schulen kommen kann, müssen die Indikatoren, die Leistungskriterien sowie die Konsequenzen bei Lehrern, Schülern und Eltern bekannt sein. Akzeptanz in der Schule ist die Voraussetzung, dass Evaluation zu einer Qualitätssteigerung des Bildungssystems führen kann.

Arendt Patrick