Wie erreicht man mehr Kompetenz in der Schule? (Guy Kersch in: Goosch.lu No 146, 24-05-07)

23.06.2007

Seit Ende der 90er Jahre und vor allem seit der PISA-Studie 2001 hat der Begriff „Kompetenz“ Einzug in die Erziehungswissenschaften gefunden. Auch in Luxemburg will man weg von der Wiedergabe reichlich abstrakten Schulwissens und hin zur praktischen Anwendung des Wissens bei der Lösung möglichst lebensnaher Probleme.
Der Begriff wurde von der OECD in Umlauf gebracht und kommt den Erfordernissen der modernen Wirtschaft entgegen. Lohnabhängige sollen heute nicht mehr nur passiv die immer gleichen Arbeitsabläufe ausführen, sondern immer öfter eigenverantwortlich handeln. „Kompetenz“ auf die Schule übertragen birgt allerdings die Gefahr, dass Kinder auf bloße Arbeitsmarkttauglichkeit getrimmt werden - auf Kosten der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu kritischen und mündigen Erwachsenen.
Jedoch kann auch die fortschrittliche, linke Pädagogik sich mit dem Begriff „Kompetenz“ anfreunden: Er verspricht eine Abkehr vom selektiven Notensystem, das die sozialen Unterschiede reproduziert und sogar verstärkt.
Eine Hinwendung der kopf- und programmlastigen Schule zu den Bedürfnissen und der Lebenswelt der Kinder wäre in der Tat dringend nötig. Daher sollten sich die schulischen Kompetenzen verstärkt darauf ausrichten, was die Menschen im praktischen Leben benötigen, und nicht ausschließlich auf ein eventuelles Weiterstudium an einer Universität.
Allerdings werden sich die Eltern wohl kaum für Kompetenzen begeistern - und seien sie noch so kindgerecht und lebensnah - solange ihre Kinder nach dem 6. Schuljahr in den klassischen, technischen oder modularen Sekundarunterricht aufgeteilt werden, womit ihre berufliche Laufbahn weitgehend vorbestimmt ist. Wirklich Sinn macht ein Kompetenzsystem nur als Element einer grundlegenden Schulreform mit der Gesamtschule bis 15 Jahre als Kernstück.
Im Moment ist eine Gesamtschule schwer vorstellbar, so riesig sind die Unterschiede zwischen den schulischen Leistungen der 12-jährigen. Die Gesamtschule bringt viel mehr Chancengleichheit, aber nur dann, wenn man die Kinder ab der „Education précoce“, also ab 3 Jahren, gezielt fördert und Defizite sofort behebt.
Dazu braucht man gerade in Tagestätten, Vorschule und Untergrad zwei bis drei qualifizierte Lehrpersonen pro Gruppe/Klasse.
Egal ob traditionelle Noten oder Kompetenzsockel: Was in Luxemburg schmerzlich vermisst wird, sind die Mittel, damit alle Kinder sie erreichen können.

Guy Kersch
in: Goosch.lu No 146, 24-05-07