Mitgliederversammlung zum Thema PISA-Test Studie
Am 17. Januar 2002 trafen sich Mitglieder des SEW, der FGIL und der LLE, zu einem Meinungsaustausch über die viel zitierte PISA-Studie
Nach einleitenden Worten von Monique Adam und einer kurzen Vorstellung der Studie und der Resultate für Luxemburg durch den Kollegen Guy Foetz wurde der Großteil der Zeit auf die Stellungnahmen der Kolleginnen und Kollegen verwendet. Die sehr lebhafte Diskussion, in der viele Fragen aufgeworfen und eigentlich wenig fertige Antworten geliefert wurden, zeigt dass unsere Gewerkschaft auch weiterhin auf der Suche nach der besseren Schule und offen für Veränderungen ist. Im Folgenden werden die verschiedenen Stellungnahmen zwar möglichst nahe beim Wortlaut, aber strukturiert dargestellt.
Allgemeine Bemerkungen
Die Fragen des PISA-Tests prüfen instrumentelles Wissen, das „Anwenden-Können“. Unsere SchülerInnen sind darauf wenig trainiert und konnten vieles nicht zur Geltung bringen.
Die PISA-Studie ist nicht das „Nec-plus-ultra“ ! Allerdings sollten die luxemburgischen Schüler unbedingt dazu gebracht werden, dass sie ihr Wissen auch anwenden können.
Es wäre nicht gut, jetzt den ganzen Unterricht auf diese Art von Fragen auszurichten, mit dem Ziel, im Jahre 2003 besser abzuschneiden.
Es hat auch keinen Sinn, die besseren Länder jetzt zu kopieren, wir müssen unserer eigenen Situation Rechnung tragen.
Probleme im luxemburgischen Kontext
Schulischer Kontext
Die Mittel unserer Schule sind unzureichend; es gibt zu wenig qualifiziertes Personal, die Infrastrukturen sind unzureichend und den Bedürfnissen unangepasst; es existiert quasi keine SchülerInnenbetreuung neben dem normalen Unterricht, SchülerInnen, die aus sozioökonomisch schlechteren Verhältnissen stammen, werden mit ihren Hausaufgaben allein gelassen. Ein Hauptgewicht müsste auf der Chancengleichheit liegen; unser Schulsystem vergrößert hingegen die Ungleichheiten. Dies wurde auch schon bei der MAGRIP-Studie in den 70er Jahren festgestellt.
Der Übergang vom „Primaire“ in den „Postprimaire“ bringt für die SchülerInnen eine große Verunsicherung mit sich; aus zuviel (?) behüteten Kindern im Primär-Unterricht sollen ganz plötzlich wenig behütete Postprimär-SchülerInnen werden.
In den zwei letzten Jahren wird ein starker Rückgang der Kompetenzen bei 7e-SchülerInnen verzeichnet. Ist dies auf neue Unterrichtsmethoden im Primärunterricht zurückzuführen oder darauf, dass die neuen Objektive und Inhalte nicht zum Tragen kommen, da viele Primär-LehrerInnen trotz des neuen didaktischen Materials noch klassische Unterrichtsmethoden anwenden ?
Im postprimären Unterricht sprechen die LehrerInnen und ProfessorInnen oft luxemburgisch, prüfen aber auf deutsch oder französisch.
Die Programme im ES und EST sind überladen; aus Zeitgründen wird das Wissen fast immer „ex cathedra“ doziert statt dass die SchülerInnen die Gelegenheit erhalten, es selbst zu erarbeiten, zu strukturieren und anzuwenden. Aus diesem Grund sind die SchülerInnen weitgehend passiv, sie erleben die Schule als Wissensberieselungs-Anstalt und langweilen sich. Sie erhalten nicht genügend Gelegenheit, selbst Hand anzulegen, sich zu behaupten und so ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Das Lernen „mit Kopf, Herz und Hand“, bleibt die starke Ausnahme.
Das Verhältnis Schüler-Lehrer/Professor ist unpersönlich, besonders im klassischen Sekundarunterricht. Hier bringen verschiedene DiskussionsteilnehmerInnen Erfahrungen aus Kanada und Finnland ein, wo die LehrerInnen und ProfessorInnen „menschlicher“ mit den SchülerInnen umgingen und an den Schulen eine bessere Atmosphäre herrsche.
Gesellschaftlicher Kontext
Das schlechte Abschneiden unserer SchülerInnen beim PISA-Test hat Ursachen, die über das eigentliche Schulgeschehen hinausgehen:
Es stellt sich die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts, sprachlich und sozial.
Wir leben in einer zerrissenen Gesellschaft; eine wirkliche Integration der ausländischen Bevölkerungsteile findet nicht statt.
Bei steigendem ausländischen Bevölkerungsanteil wird die integrative Rolle der luxemburgischen Sprache immer mehr in Frage gestellt (Wie viele luxemburgisch sprechende Kinder gibt es z.B. noch in einzelnen „Précoce“-Einrichtungen ?)
Drei Sprachen gleichzeitig lernen ist für ausländische Primärschulkinder eine Überbelastung, an der die meisten scheitern.
Die deutschsprachige Schweiz und Luxemburg sind sprachlich ähnlich gelagert; in beiden Fällen wurde nicht in der Muttersprache (Schweizerdeutsch/Luxemburgisch) getestet. Trotzdem weist die deutschsprachige Schweiz gute Resultate auf.
Es fällt auf, dass sowohl der französischsprachige Teil Belgiens („Wallonie“) wie angeblich auch das Saarland ähnlich negative Resultate im Lesebereich aufweisen wie Luxemburg. Alle drei Regionen sind alte Industriegebiete.
Der Einfluss des Mediums „Fernsehen“ in unserem Land ist enorm und verstärkt sich zusehends; parallel dazu nimmt die Lesebereitschaft ab.
Die Konzentrationsprobleme der Kinder und Jugendlichen im Klassensaal haben ihren Ursprung weitgehend im gesellschaftlichen Umfeld.
Wie die Antworten auf die Fragen betreffend persönliche Erfahrungen und Einstellungen der SchülerInnen zeigen, ist das Verhältnis vieler Kinder und Jugendlichen zu ihren Eltern gestört: wenn überhaupt miteinander geredet wird, so hauptsächlich über die Schulleistungen.
Lösungsansätze
Die auf der Versammlung geäußerten Verbesserungsvorschläge beschränken sich auf den schulischen Kontext.
Neben den notwendigen materiellen Voraussetzungen (genügend qualifiziertes Lehr- und Erziehungspersonal einstellen; die Infrastrukturen wesentlich verbessern und anpassen), sind einige wesentlichen Vorschläge hervorzuheben:
- die Programme sind zu durchforsten, um nur das Wesentliche zurückzubehalten und so zeitliche Freiräume zu schaffen;
- die Arbeitsweise ist dahingehend zu verändern, dass ein Großteil des Wissens gemeinsam mit den Schülern strukturiert aufzubauen ist;
- entscheidende Schritte in Richtung interdisziplinären Unterricht sind zu tun;
- die LehrerInnen und ProfessorInnen, sowie die SchülerInnen sind in die Organisation der Schule einzubeziehen (Mitbestimmung); die Elternkontakte sind auszubauen;
- ein entschiedenerer Einsatz des Unterrichtsministeriums bei der Umsetzung von Reformen ist erfordert.
Wie weiter ?
Weitere Überlegungen drängen sich vor allem in Richtung Sprachenproblematik auf (welche Ziele für den Sprachenunterricht im Primär- und im Sekundarunterricht ?).
Auch sollten die sozioökonomischen Faktoren und ihre Konsequenzen, die für Luxemburg eine einschneidende Rolle gespielt haben, eingehend untersucht werden.
Auf Anfrage der SEW-Mitglieder sollten Departement-übergreifende Themengruppen geschaffen werden.
Guy Foetz