„Bildung am Monolog“

Eine Neuinterpretation von „Austausch und Zusammenarbeit” mit den Grundschulen.
Quasi im Wochentakt kündigte der Bildungsminister zu Beginn seiner ersten Legislaturperiode Neuregelungen an. Er hatte sich als Ziel gesetzt, die Schule endlich ins 21. Jahrhundert zu führen, Schulen sollten besser werden, effektiver, effizienter.
Neu wurde zum Synonym für gut, eine kritische Auseinandersetzung mit den verordneten Reformen, war nicht erwünscht. Die umfangreichen und signifikanten Modifikationen erzeugten Spannungen und Belastungen an den Schulen. Mag 2009 eine neue Ausrichtung der Grundschule und somit ein angepasstes Schulgesetz vonnöten gewesen sein, wurde doch geflissentlich darüber hinweggesehen, dass die Implementierung von Reformen sowohl Zeit als auch Unterstützung bedarf, dass eine gelungene Umsetzung von Anfang an die Einbeziehung aller Beteiligten erfordert. Zu keinem Zeitpunkt fanden die Lehrer Gehör.
Neue Bestimmungen, neue Strukturen, neue Posten, neue Abläufe, neue Formulare bestimmten nun den Schulalltag, genauso wie hierarchische Entscheidungswege und standardisierte Kommunikationsabläufe. Für pädagogische Probleme wurden administrative Antworten formuliert – mit viel Aufwand wurde eine künstliche Distanz zwischen den Lehrern und der Schulverwaltung erzeugt. Die von den permanenten Nachbesserungen der 2009er Jahrhundertreform gezeichnete Schule reagierte eher verhalten auf diese nicht enden wollende Neuerungsoffensive, nicht zuletzt, weil sich schnell herausstellte, dass das Kerngeschäft der Lehrer – das Unterrichten - nicht im Fokus der ministeriellen Bestrebungen stand. Der Schule wurden schlicht und ergreifend die Strukturen einer regulären Verwaltung übergestülpt, ihre Spezifizität als pädagogische Institution wurde ihr aberkannt.
Anstatt auf die beruflichen Erfahrungen der Lehrerinnen und Lehrer zu vertrauen, wurde die Rolle des Klassenlehrers systematisch geschwächt. Nicht nur wurde in keiner Weise das Gespräch mit ihnen gesucht, regelmäßig wurden die Medien vor den Lehrern über Neuerungen informiert. Diese mangelnde Kommunikation führte dazu, dass sich die Lehrer nur noch als Statisten erlebten, als reine Ausführende, nicht länger als zentrale Akteure des Bildungswesens, als Experten für das Lehren und Lernen – das waren auf einmal alle anderen. So machte sich in der Bevölkerung – auch hierfür wurden sich die Medien zunutze gemacht - schnell die Überzeugung breit, alle Neuerungen wären alternativlos und zwingend notwendig und müssten zeitnah umgesetzt werden. Lehrer, die die Reformwut hinterfragten, galten von vornherein als reformresistent, als Ewiggestrige.
Die im Laufe der Jahre zahlreich neu geschaffenen Posten trugen mit dazu bei, dass Lehrer nicht länger als Experten wahrgenommen wurden. Der Expertenstatus schien proportional mit der Entfernung zu den Schülern zu wachsen – Experten wurden die, die fleißig die Karriereleiter erklommen und ihre Arbeit jetzt überwiegend jenseits der Schulmauern verrichteten. Der Exodus von tatsächlich unterrichtenden Lehrern öffnete infolgedessen Quereinsteigern die Klassenzimmertüren. Sollten Schulen ursprünglich besser gemacht werden, so unterrichteten letztendlich weniger qualifizierte „Lehrer“ als zuvor – ein weiterer Beweis dafür, dass Unterrichten scheinbar keine Expertise voraussetzt.
Die neu geschaffenen Direktionen sollten näher an den Schulen sein, als es zuvor die Inspektoren waren. Doch, ob gewollt oder ungewollt, die Direktionen zeigten sich meist ausschließlich als verlängerter Arm des Ministers. Hilfe und Unterstützung für ihre zunehmend komplexer werdende Arbeit fanden die Lehrer kaum. Selten gab es eine gemeinsame Sicht der Dinge, noch seltener ergab sich der Eindruck, dass sich die Direktionen de facto als Teil der Grundschulen, als Teil des Ganzen begreifen würden. So stießen die Lehrer auch hier meist auf wenig Dialogbereitschaft – ein weiterer Grund für Spannungen und Belastungen an den Einzelschulen.
Viele dieser Neuerungen waren zu keinem Zeitpunkt an den Schulen als bedeutsam erlebt worden – auch weil im Vorfeld versäumt worden war, die Lehrer mit in die Reform einzubinden, auch weil im Nachhinein versäumt wurde, bei Schwierigkeiten genau hinzuhören und zu –sehen. Außerdem stellte sich für die Lehrer schnell heraus, dass diese Reformmaßnahmen keinen Mehrwert für die Schüler ergaben. Doch nun, mit Beginn der zweiten Legislaturperiode, sollte alles anders werden: „Bildung am Dialog“ lautete die neue Devise. Eine Kommunikationsoffensive wurde eingeläutet und sich der Medien bedient, um die Initiative zu lancieren und zu bewerben. Jetzt, wo alle Reformen eingeführt waren, wo man selbst erkannt habe, dass es viel Frustration, hier und da Erklärungsbedarf und allerlei Verbesserungsmöglichkeiten gäbe, wolle man die Stimmen aller Beteiligten hören.
Alle im Rahmen dieser Initiative stattgefundenen Termine wurden jetzt auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht . Und so war ersichtlich, dass – allen anders klingenden Bekundungen zum Trotz - lediglich knapp 10% der stattgefundenen Gespräche mit den Grundschullehrern oder ihren Vertretern geführt wurden. 2019 fand sogar kein einziges derartiges Gespräch statt.
Unter diesen Voraussetzungen kann der Aussage des Ministers, er wolle wissen, „wou de Schong dréckt“ nur schwer Glauben geschenkt werden. Die Herangehensweise des Ministers hat Methode: Basierend auf den Überlegungen der Chicago School of Economics über die Deregulierung der Arbeitsmärkte werden Ausnahmesituationen genutzt (zum Teil sogar absichtlich geschaffen), um auf diese Art bei den Mitarbeitern ein Gefühl der Alternativlosigkeit zu verbreiten und infolge Entscheidungen und die Implementation von Innovationen zu forcieren.
Etwaige Andersdenkende werden systematisch ignoriert, wenn nötig mit viel Aufwand diskreditiert, keine Maßnahmen werden gescheut, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und vom eigenen Vorhaben zu überzeugen. Der fehlenden Bereitschaft zum Dialog stellt der Minister den eigenen Anspruch auf die alleinige Richtigkeit seiner politischen Überzeugungen gegenüber.
„Bildung am Monolog“ ist demnach keine Ausnahme, sondern Programm.
Jola
Quelle Diagramm: men.public.lu/fr/actualites/grandsdossiers/systeme-educatif/dialog/index.html]]